Wir alle stehen fassungslos am Rande einer furchtbaren Tragödie. Kaum jemand wollte glauben, dass ein solcher Zivilisationsbruch im 21. Jahrhundert und in unserer direkten Nachbarschaft stattfinden könnte. Unsere Gedanken sind bei den vielen Opfern: Soldaten und Zivilisten beider Seiten. Sie alle haben Familien!

Wir fordern Russland auf, das Blutvergießen sofort einzustellen und zurück zur Vernunft, also an den Verhandlungstisch zu kommen. Alle sollten nach Tod und Zerstörung verstanden haben, dass nun wirklich verhandelt und Ergebnisse in beiderseitigem Interesse umgesetzt werden müssen.

2014 trafen sich die in den 1. Weltkrieg verwickelten Staaten und versicherten, „aus der Geschichte gelernt“ zu haben. Niemals wieder wollte man schlafwandlerisch in einen Krieg schlittern. Auseinandersetzungen seien in einem aufgeklärten Jahrhundert friedlich beizulegen.

Der Krieg in der Ukraine ist nun der vorläufige Höhepunkt einer langen Reihe von Konflikten. Sehr viele davon wurden vom Westen begonnen, vielleicht in guter Absicht – aber mindestens töricht in ihrem Ausgang. Wir müssen uns heute fragen, warum das heraufziehende Unheil – trotz vieler Warnungen von Joe Biden bis Helmut Schmidt, von Henry Kissinger bis Peter Scholl-Latour, von Bill Clinton bis Michael Gorbatschow – nicht politisch verhindert wurde.

Wo waren die lauten Proteste im Westen, als beginnend 2014 immer mehr Menschen im Donbas verschwanden?

Wo war der Druck der internationalen Gemeinschaft, beide Minsker Abkommen umzusetzen?

Seit 2014 hatten laut Caritas 2 Millionen Ukrainer ihr Land verlassen – die meisten Richtung Russland. Die Ukraine hat ihren Landsleuten im Osten faktisch die Sprache genommen, Radio- und TV Sender geschlossen, Russischstämmige aus leitenden Positionen entfernt und sogar die Rentenzahlungen eingestellt.

Wo blieben damals die Proteste?

Schauen wir nicht weg, wenn sich scheinbar auf der richtigen Seite die falschen Leute sammeln: Wer die Videos der Asow-Brigaden gesehen hat, weiß, wovon die Rede ist. Kollege Gysi hat sie hier im BT Faschisten genannt.

Meine Damen und Herren, ich bin in den letzten 30 Jahren beruflich in mehr als 65 Ländern unterwegs gewesen. Das Bild, welches Deutschland von der Welt zeichnet, hat sich beträchtlich von der Wirklichkeit entfernt.

Politik und Medien machen uns glauben, Sanktionen und Waffenlieferungen seien nun die Mittel der Wahl.

Dieses verheerende Denken verkennt, dass es in unserer Welt keine Sieger und Verlierer geben darf. Nur ein empfindliches, stets bedrohtes Gleichgewicht. Es ist ein schmaler Grat, der uns von der Apokalypse trennt.

Was, wenn es nicht darauf ankommt, ob die Ukraine an Putin fällt – sondern nur, wann? Und auf Kosten wie vieler Opfer?

Viele junge Männer auf beiden Seiten wissen nicht was Krieg bedeutet. Es gehört zum Selbstverständnis freiheitlicher Demokratien, dass der Staat um der Menschen willen da zu sein hat – und nicht umgekehrt. Das Opfer des Lebens widerspricht der Menschenwürde, die über allen politischen Interessen steht. Das ist Verantwortung.

Der israelische Ministerpräsident soll (so wird in einigen Medien berichtet) Präsident Selensky geraten haben, einzulenken. Nicht aus Schwäche – aber aus Vernunft.

Beide Seiten sollen, müssen gesichtswahrend aus der Sache herauskommen. Vor allem müssen wir verhindern, dass die NATO in den Krieg hineingezogen wird. Forderungsdiplomatie hilft uns nicht weiter!

Die AfD lehnt Wirtschaftssanktionen ab. Wir werden damit wenig an Umdenken erreichen – aber uns gewaltig schaden. Durch eigene Sonderwege hat sich Deutschland in die energiepolitische Abhängigkeit begeben und um seine Flexibilität gebracht.

Auch hier ist die Frage ist nur, wann und zu welchen Kosten wir diesen Kurs korrigieren. Stichwort Kernkraft!

Die Bundeswehr wurde durch unsere schon zu lange feministische Verteidigungspolitik quasi ruiniert.

Das ist die Lage.

Es ist zutiefst verstörend, wenn soziale Medien mit Sitz in den USA derzeit Hasskommentare gegen Russland erlauben. Nicht überall – nein, nur in den Ländern, in denen eine Eskalation dieses Krieges zuerst erfolgen würde.

Es ist verstörend, dass Menschen mit russischem Namen und ukrainischen Wurzeln in Deutschland Angst haben müssen; weil russische Schulen wie in Berlin angegriffen und Künstler diffamiert werden;

-weil Restaurants Schilder aufhängen, „Russen unerwünscht“ oder selbst Kinder aus dem Kindergarten heimgeschickt werden, weil sie eine falsche Jacke anhaben.

Ich erinnere an den Ausspruch von Henryk Broder: „Wenn Ihr Euch fragt, wie es damals dazu kommen konnte, nun, weil sie damals so waren, wie Ihr es heute seid.“

Helfen wir lieber dabei, dass in der Ukraine mit klugen politischen Mitteln ein Interessenausgleich möglich wird. Der Krieg hat Russen und Ukrainer für mindestens eine Generation unrettbar entfremdet. Der mutige Widerstand wird Präsident Selenskyj stattdessen einen Neugründungsmythos für sein Land liefern.

Aber die Menschen in der Ostukraine sollten mit internationaler Beobachtung selbst abstimmen, unter welchem Dach sie leben wollen.Wenn wir ehrlich sind, gibt es dazu keine Alternative. Auch nicht auf der Krim.Es ist die Wirklichkeit, die zählt. Und nicht unser Wunsch, die Wirklichkeit möge eine andere sein.

Es gibt nur ein Gebot der Stunde: Friede. Ihn zu stiften ist die große Aufgabe Europas!

Anmmerkung: Die Rede wurde von mir anlässlich der Aktuellen Stunde im Bundestag am 16.3.22 gehalten. Der Link zur Rede findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=bOZtqRjoJts