Als am 10.Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz Bücher brannten, konsequenterweise von ihren zuvördersten Nutzern, den Studenten in Brand gesteckt, brannte kein bloßes Papier. Das Feuer verschlang eine tausendjährige Geschichte an Bildung, Empathie, Stil und das Postulat der Aufklärung gleich mit: „Habe den Mut, Deinen eigenen Verstand zu gebrauchen!“

Man kann ein Buch „wenig hilfreich“ finden. Die Kanzlerin tat das und hatte auf Nachfrage ihren Thilo Sarrazin noch nicht einmal gelesen. Er teilt das Schicksal – vor allem in jüngster Zeit – mit Sieferle, Flaig, Klonovsky und auch wohl Uwe Tellkamp. Was zählen schon Leser, ob Hunderte oder Tausende, wenn man die Diskussion über das Thema zu ersticken trachtet. Diese Furcht vor dem geschriebenen Wort lässt sich verfolgen bis hinunter zur Gutenberg’schen Erfindung des Buchdruckes. Wer die Gedanken kontrolliert, hat die Macht über den Menschen. Deswegen soll in neuer Zeit, im besten Deutschland das wir je hatten, schon die Diskussion über den Klimawandel Aufnahme ins Strafrecht finden.

Dies hier ist keine Verteidigung von Thorsten Schulte. Es ist eine Verteidigung des Buches als Institution. Ersterer hat keine Verteidigung nötig, seine Thesen werden Bestand haben – oder auch nicht. Castellio gegen Calvin, die Kirche gegen Galilei, Gauss, Darwin und auch Gobineau: Was von ihnen bleibt, entscheidet die Nachwelt. Und zwar nicht nach Postulat, sondern nach intellektuellem Gewicht.
Oswald Spengler, der Lehrer aus Wernigerode, hatte weder die historische Wissenschaft erfunden, die Systematik der analogen Vergleiche von Kulturen und Zivilisationen schon gar nicht. Er musste sich deswegen mit dem gelehrt – zweifelnden Diktum der Wissenschaftler herumschlagen. Und doch war die Erscheinung von „Der Untergang des Abendlandes“ vor ein wenig mehr als 100 Jahren eine Sensation, literarisch, aber auch wissenschaftlich. Ganz Europa diskutierte sie. Thomas Mann hat das opus magnum im Abstand von vielen Jahren zweimal gelesen und kam zu völlig gegensätzlichen Einschätzungen der Spenglerschen Thesen. Immerhin hat er es aber gelesen. Es gibt nämlich keine andere Form der Auseinandersetzung. Der Hinweis auf politische Opportunität ist – gelinde gesagt – einfältig.

Mir scheint, wir sind zunehmend umgeben von Leuten, die es nicht so haben mit dem Kulturland Deutschland, zu dessen Verteidigung sie angetreten sind. Sie gehen nicht in Oper und Konzert, können mit Bällen nur Fußball assoziieren, kennen den Unterschied von Shiraz und Chablis nicht und meinen, die planlos zufällige Nutzung von Werkzeug bei Tische und das morgendliche Zähneputzen seien als Ausweis von Kultur ausreichend. Wer einmal erlebt hat, wie vermeintlich konservative Mandatsträger ihre gerade benutzte Serviette in den ebenfalls gerade noch benutzten, geöffneten Konzertflügel schmeißen, weiß um die durchlittenen Höllenqualen. Er weiß aber auch, dass diese Leute keine Kultur haben, wahrscheinlich empfinden sie noch nicht einmal ihre Abwesenheit.

Die Abwesenheit kultureller Grundprinzipien aber führt über bloße Zivilisation zurück ins Chaos. Wenn Diskurs und Kontroverse unmöglich gemacht werden, Autoren und ihre Bücher mit Leseverbot belegt und zeitbezogene Erkenntnisse mit Zensur bedacht werden, ist der Rücksturz in Barbarei unaufhaltsam und nicht mehr fern.

Und obwohl es diesen willfährigen Satrapen nicht einleuchten mag, so wenig, wie ein Buch mit fast 1000 Fußnoten und Querverweisen der Verschwörung zu bezichtigen: „Nicht immer, wenn ein Kopf und ein Buch aufeinanderprallen und es klingt hohl, ist das Buch daran schuld.“
Wem dies noch zu elitär ist, der versteht sicher Max Liebermann. Er hatte 1933 aus seinem Atelier am Pariser Platz den besten Blick: „Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte.“. Pardon!