Einen erneuten Genozid zu verhindern war 1998 die Begründung der rot-grünen Bundesregierung für den NATO-Einsatz gegen Jugoslawien. Die Bundeswehr beteiligte sich zum ersten Mal seit dem Ende des Weltkrieges an einem Kampfeinsatz, ohne Mandat der UN und ohne Bündnisfall im Sinne der Verträge. Völkerrechtlich ist der Einsatz deswegen ein Sündenfall.
Wenn wir uns heute daran erinnern, dann auch, um daran zu zeigen, wie nahe Licht und Schatten in der Frage unseres Verteidigungsbündnisses liegen. Es herrscht große Einigkeit darüber, dass die NATO heute ein Garant unserer Sicherheit in Europa darstellt. Aber man muss konstatieren, dass diese Sicherheit nun vor allem durch den fast selbstreferenziellen Charakter der NATO erst gefährdet wurde und wird.
Der Abzug aus Afghanistan am 30.Juni 2021 markiert nicht nur ein politisches Versagen, kostete fast 60 Soldaten das Leben und verschlang 12 Mrd. Euro. Der Einsatz löst bis heute Fluchtbewegungen nach Europa aus, unter denen vor allem Deutschland leidet und nährt noch immer den weltweiten Terror, z.B. mit zurückgelassenen Waffen.
Auch der aktuelle Krieg in der Ukraine hat eine lange Vorgeschichte – und die hat vor allem mit der Osterweiterung der Allianz zu tun. Die Antwort geben viele Hundert Seiten Wortprotokolle aus dem Nationalen Sicherheitsarchiv der USA.
Am 1.Juli 1991 reagiert NATO-Generalsekretär Manfred Wörner auf die sicherheitspolitischen Sorgen der russischen Delegation mit der Feststellung, dass er und der NATO-Rat gegen eine Osterweiterung sei. „13 der 16 Staaten teilen diesen Standpunkt.“ Der damalige britische Premier John Major dazu: „Ich sehe weder jetzt noch in Zukunft Umstände voraus, unter denen osteuropäische Staaten Mitglieder der NATO werden könnten.“ Sein Außenminister Douglas Hurd assistiert ihm: „In der NATO gibt es keine Pläne, die Länder Ost- und Mitteleuropas in irgendeiner Form in die NATO
aufzunehmen.“ Dies liegt auf der Linie der US-Regierung vom 22.10.1990: „Im gegenwärtigen Umfeld ist es nicht im besten Interesse der NATO oder der USA, dass diesen Staaten die volle Mitgliedschaft in der NATO und ihre Sicherheitsgarantien gewährt werden“. Die Vereinigten Staaten wollen „keine antisowjetische Koalition organisieren, deren Grenze die sowjetische Grenze ist.“
Was hätte man alles vermeiden können, wenn man dabei geblieben wäre, wenigstens in Bezug auf die Ukraine, die ja nun noch innerhalb der sowjetischen Grenze liegt.
Gorbatschow spricht damals eine wichtige Warnung für die Zukunft aus: „Wenn das Volk den Eindruck bekommt, dass wir in der deutschen Frage nicht beachtet werden, dann sind alle positiven Prozesse in Europa, einschließlich der Verhandlungen in Wien über konventionelle Streitkräfte, in ernster Gefahr. Das ist nicht nur ein Bluff. Es ist einfach so, dass die Menschen uns zwingen werden, innezuhalten und uns umzusehen.“
Das ist eine falsche Politik, in deren Ergebnis die NATO heute in einem Konflikt mit Russland steht, der zum Krieg in Europa werden könnte. Wie geht es weiter? Mit Georgien und Moldawien? Was ist mit der Mongolei?
Schon ab November könnten sich völlig neue Prioritätensetzungen für Deutschland innerhalb der NATO ergeben. Eine USA unter Trump wendet sich vermutlich noch viel stärker nach dem Indo-pazifischen Raum. Im Schlagabtausch mit Biden hatte Trump für die Europäer und deren Sicherheit nur ein Schulterzucken übrig.
Zeit also für unser Europa, nicht die EU wohlgemerkt, sich auf eine eigene Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur zu besinnen. Vielleicht können wir dann gemeinsam die Fehler der 90er Jahre korrigieren und aus der weltweit in die Jahre gekommenen Nachkriegsordnung ein wirkliches Europa des Friedens schaffen. Mir scheint, dass Viktor Orban in seiner Ratspräsidentschaft von diesen Gedanken getrieben wird.
Der Geist der OSZE unter dem Dach einer NATO, ein Wandel hin zu Konfliktvermeidung und Diplomatie – DAS wäre eine wirkliche Zeitenwende! Und damit ein wirkliches Verteidigungsbündnis europäischer Werte!
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