Wer sich momentan von der Emotionalität der Thematik überwältigen lässt, hat die eigenen Erinnerungen vergessen oder verdrängt. Alles schon mal dagewesen: 2005 schrieb ich einen Reisebericht aus den USA, der Irak-Krieg hatte gerade begonnen. „Es gehört viel Eigensinn dazu, dem überall gegenwärtigen, an Dummheit und Verlogenheit nicht zu überbietenden Fernsehkommentaren zu entkommen. Alle News-Sender berichten 24 Stunden am Stück mit Live-Bildern aus Schützengräben, Interviews mit Familienangehörigen Gefangener und Gefallener Amerikaner – nicht ohne zu versichern, man wolle dieses Leid respektvoll behandeln. Kämpfende Iraker kommen kaum anders denn als „Bande“, „Kriegsverbrecher“ und „Terroristen“ dabei in den Blick. Fragen europäischer Reporter zum Thema verschollener Massenvernichtungswaffen werden rüde abgebürstet, es gibt öffentliche Diskussionen, ob deutsche Firmen noch die Farbe für den Anstrich des Pentagon liefern dürfen oder ob nicht alle auf französischem Boden vorhandenen amerikanischen Kriegsgräber des 2. Weltkrieges exhumiert und ins Heimatland überführt werden sollten. Ganz Patriotische bezeichnen Frankreichs Präsident Chirac gar als „den wahren Hitler unserer Tage“. Getreu dem peinlichen TV-Motto: „Sie haben die Fragen, wir die Antworten“ Freedom-Fries und bewusster Verzicht auf französischen Rotwein – die „Achse des Blöden“ machte das, was der ukrainische Melnyk heute tut: Er hat die Banalität des politischen Tourette-Syndroms für sich entdeckt und nützlich-dumme Wertegeleitete lassen sich von ihm und den Medien in den Kombattantenstatus treiben.
Wenn Gerhard Schröder feststellt, dass die gleichen Akteure, die ihn damals zum Kriegseintritt nötigen wollten, heute wieder die Meinung vorgeben, den Konflikt schüren, die Vernunft niederhalten und Frieden als etwas Zweitrangiges darzustellen versuchen, wird schnell klar, dass es nicht deutsche Interessen sind, die hier hysterisch Gefolgschaft einfordern.
Man muss kein Studium der Geschichte bemühen, um die hegemonialen Verlustängste der transatlantischen Partner einzuordnen. Die NATO hätte doch fast ihre Bedeutung, ja sogar die Notwendigkeit ihrer Existenz verloren, stünde der neue alte Feind nicht wieder zur Verfügung. Es bedurfte nur, einen Keil zwischen Russland und Europa – und dort vor allem den Deutschen – zu treiben. George Soros, der überall nicht weit ist, wo geputscht und geschossen wird, hat die Vorgänge in der Ukraine sein „bestes Projekt“ genannt. Für den senilen wie politisch vor allem glücklosen Biden ist der Krieg die ersehnte „Badekur“ – wenn er überhaupt verstanden hat worum es geht. Der Papst jedenfalls hat uns überrascht: Dieser Krieg ist (mindestens auch) ein gezieltes Produkt aus der globalistischen Retorte.
Deutschland scheint aus seinem Scheitern in Afghanistan ebenso wenig gelernt zu haben wie aus den Verirrungen auf anderen Politikfeldern. Mit halsbrecherischer Selbstverleugnung wurden in den vergangenen Wochen Wenden um 180 Grad vollführt. Die Bundeswehr entdeckt den maskulinen Heldenmut, die Angst vor Atomkraftwerken mündet in die trotzige Entschlossenheit, den Atomkrieg als ultima ratio auf dem Altar der Freiheit darzubringen. So wie die Deutsche Bank als Unternehmen unter den Top 5 der Branche weltweit im Moment des Stabwechsels von Joe Ackermann zu Mister Austauschbar von 25% Eigenkapitalrendite zu „unter ferner“ und Platz 23 gerutscht ist, wird Deutschland nach Merkel nur noch der zu große Schatten bleiben. Die Substanz gegen Glasperlen verschenkt, jeder Wert jener Haltung gewichen, die europäische Universitäten unter den ersten 50 der Welt unauffindbar macht. Gaga, Schnulli, lauter und dummer Irrsinn wird zukünftig exportiert. Und weil ihn so keiner abnimmt, sind sanfter Zwang, Demokratie-Export und Nation – Building -Projekte die Mittel der Wahl zu ihrer Verbreitung.
Soros dazu: „Wenn Russland fällt, ist der Weg unserer Lebensweise für 100 Jahre frei.“ Da Deutschland dann nicht nur die höchsten Abgaben, sondern auch die niedrigsten Eigentumsquoten oder Reallöhne haben wird, wäre der Ansatz von Winston Churchill vollzogen: „Den Deutschen muss der Geist Schillers ausgetrieben werden.“ Der Dichter der europäischen Hymne, sein Geist der Freiheit, seine angewandte Philosophie der Aufklärung, seine Erziehung des Menschen, die Verbindung von Kultur und Nation, stehen für Voraussetzungen und Ziele, die jeder Indoktrination entgegenstehen. „Bis einst die Völker selbst die Meister sind, die dichterisch handelnd ihr Geschick vollbringen.“ – so klingt das Gegenteil stumpfer und gleichmachender Globalisierung. Wenn es unfassbar viel mehr deutsche Stätten des Weltkulturerbes gibt als in jedem anderen Land, wird der Ruf nach ihrer Schleifung, nach der Einebnung des so befähigten Menschenschlages doch sehr verständlich.
Wie geschieht das? Nun, 55 Mrd. Kubikmeter Gas werden in Deutschland industriell und privat verbrannt. Oder in Produkten veredelt. Gas galt als klimafreundlichere Variante zu Kohle und Öl. Mit dem Atom- und Kohleausstieg bei gleichzeitiger Forcierung der Elektromobilität ist die Verfügbarkeit grundlastfähiger Energieträger zur Achillesferse der heimischen Wirtschaft geworden. Während im Nachbarland Schweiz die Inflation bei ca. 2,4% verharrt, steht sie hierzulande zwischen 7 und 8%, erwartet wird eine Zweistelligkeit. Schon jetzt sind Grundnahrungsmittel um 33,6% innerhalb eines Jahres gestiegen – Energie steckt in allen Produkten und Transporten. Die Reduktion russischer Gaslieferungen ruft die Frage nach in ähnlicher Zeit und Menge verfügbaren Alternativen auf den Plan. Wir erinnern uns: LNG ist nicht nur teurer, es muss über weite Strecken herangeschafft werden. In Schiffen, die erst noch gebaut werden und zu Terminals die noch nicht geplant wurden. Eines dieser Schiffe emittiert Schadstoffe wie 15 Mio. VW Golf TDI, Hunderte werden wohl gebraucht. Klimabilanz? Kosten? Rentabilität? Verlässlichkeit? Abhängigkeit?
Europa an die Kandare zu bekommen, ihm seinen Wohlstand zu nehmen, es zu einem gefügigen Vasallen zu machen – besser hätte man es nicht organisieren können. Den Rest erledigen Migration, Bündnisverpflichtungen, Demografie und diverse Krisenszenarien. Berlin wird dann zu Bukarest und Paris wie das heutige Marseille. Game over.
Aber wie kann es in einem aufgeklärten Land des 21.Jahrhunderts überhaupt passieren, dass weite Teile beherzt an den Ästen mit Inbrunst sägen, auf denen sie und ihre Familien sitzen, ja die Zukunft des Landes und weiterer Generationen ruhen?
Die Beantwortung dieser Frage ist eng mit den Erfahrungen gelungener Meinungsmanipulation verbunden. Von den Massenvernichtungswaffen im Irak, menschgemachtem Klima-Weltuntergang, der tödlichen Pandemie und ihrer segensreichen Impfung bis zur „selbstbewussten afghanischen Zivilgesellschaft“ – an die Stelle von Wissen ist Haltung getreten und Realitäten sind folglich dem Wünschbaren gewichen. Die Neigung, eigenen gesunden Menschenverstand mit gesinnungsethischen Narrativen zu überlagern, ist in dem Maße größer geworden, wie das medial einsickernde Wohlstandsfett – von den woken Gesellschaftsumbauern geschickt genutzt – seine dekadente Zerstörung entfalten konnte. Ruinöse deutsche Sonderwege sind das Kontinuum unserer Geschichte. Und die „aus der Geschichte gelernt haben“ Wollenden bevölkern heute – zumeist ohne Berufsabschluss und Kompetenz – die Brücke des Narrenschiffs. Habeck: „Nichtsmachen ist auch keine Alternative“. Will heißen: Dann lieber ein neuer Feldversuch an uns allen.
Gute Politik ist nach F.J. Strauß langsam, öde und staubtrocken. Auf der Suche nach Kompromissen in der Bewahrung dessen was wir vorgefunden haben. Frieden, auch sozialer, ist nur mit dieser wohldosierten Ambition zu haben. Eine Rückkehr zu einer wirklichen Friedenspolitik im Interesse Deutschlands und seiner Bürger ist die vielleicht wichtigste Forderung heute.
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