Karfreitag beginnen jedes Jahr aufs Neue die dunkelsten Tage der Christenheit. Das Licht der Welt erlischt, die Zeit steht still. Ohne Licht ist nichts, kein Leben und schon gar keine Erkenntnis.
Die Aura des Karfreitags, der kulturlosen geistigen Dunkelheit, umgibt uns nun schon über ein Jahr, ist doch im Zuge der Säkularisierung für weite Teile des Abendlandes die Kunst an die Stelle der Religion getreten. Ohne sie zu leben, ist wie die Welt ohne Gott zu sehen. Zivilisation ist zwar eine ihrer Voraussetzungen – aber beileibe noch keine Kultur. Es ist nicht Stille, die wir spüren, es ist Leere.
Politik versucht sich in dieser Zeit neidisch und weit weg vom Profanen einen quasi-religiösen Kontext anzumaßen. In der komplexen Gegenwart haben halbgare Politiker die damit zusammenhängenden Möglichkeiten entdeckt. Wie die Kirche über Jahrhunderte die Deutungshoheit über die Welt und damit die Macht über die ihr untergebenen Menschen ausüben konnte, spielt sich dieser Typus von Möchtegern immer mehr in diese Rolle. Dabei geht in manchen Parteien die treffende Frage nicht mehr darum, wofür ein Politiker steht, sondern eher, wofür er bald sitzt. Charakterschweine geben sich die Hand, wahrscheinlich war das schon immer so. Der dünne Firnis gemeinsamer kultureller Verständigung ist mit dem allgegenwärtigen Selbsthass längst aufgekündigt worden. Darunter ist nackte bloße Anmaßung. Erlaubt ist geht – und was am Ende ungesühnt bleibt
Den Bürgern wird täglich eingeredet, die Dinge seien ohne das Wissen der Politik nicht zu verstehen, ihre Hilfe zur Interpretation darum quasi unerlässlich. Es werden Narrative konstruiert, wie das der Bundeskanzlerin, die angeblich „jede Situation von ihrem Ende her denkt“. „Der Mensch denkt, Gott lenkt“ ist da nicht weit entfernt. Wenn man im sprichwörtlichen Bild bleiben möchte, trifft es ein Satz allerdings wesentlich besser. Er illustriert auch den unmerklichen Übergang, die Bedingung der beiden Sphären aneinander. In ihm erscheint Politik nicht nur als die Religion der heutigen Zeit, sondern als ihr geschichtlicher Bündnispartner: „Der Minister nahm den Bischof am Arm: Halt Du sie dumm, ich halt sie arm.“
Wer in der Corona-Pandemie noch immer nicht begriffen hat, dass erst die permanenten – und damit vielfach einfach konstruierten – Ausnahmezustände der Politik ihre Legitimation einzuhauchen vermögen, wird im Zusammenbruch seines wirtschaftlichen Lebensmodells, verursacht durch einen in hohem Maße ausnahmepolitischen Kollateralschaden, vielleicht wenigstens auf die richtige Spur gesetzt. Gefahrenabwehr wird ohne die permanente Ermächtigung wohl nie wieder „normal“ diskutiert werden. Hoch schlägt das Politiker-Herz. Und wenn etwas die Nachwelt in bleibendes Erstaunen versetzen kann, dann ist es die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der unsere verfassungsmäßig garantierten Grundrechte, eigentlich Abwehrrechte gegen einen übergriffigen Staat, umgedeutet und ausgehebelt worden sind. Der Ausnahmezustand ermöglicht es auch, den Diskurs darüber als alternativlos abzubrechen. Von wem? Nun, von den ermächtigten Politikern, die in ihrer neuen Rolle Ankläger, Richter und Scharfrichter in einer Person sein wollen. Was kümmert da die Gewaltenteilung, die fehlende Einbeziehung der Parlamente. Es wird durchregiert, mit einer Macht, die nun kaum noch zu kontrollieren ist – weil sie absolutistisch nicht mehr kontrolliert werden will. Sie kann es sich leisten. Einmal von der Kette gelassen, wird sie den Bürger unmündig lassen müssen – weil es ihr nützt. Und weil jeder Rückschritt, jede Abgabe von Kompetenz, zum Zusammenbruch ihrer Fiktion führen muss.
Wir lernen gerade – und hier schließt sich der Kreis – dass Johann Sebastian Bach ein Antisemit war und Mozart wie Beethoven die Notenschrift „weißer Sklavenhalter“ benutzten. Billig erfundene Gründe genug für die spinnerten BLM-Hysteriker, ihre Werke durch einen Kanon von Weltmusik-Schnulli ersetzen zu wollen.
Wer hatte das jeweils gesagt? „Es geht in der Politik um Interessen, nichts weiter.“ (Egon Bahr) Und: „Wer die Menschheit im Munde führt, will betrügen.“ (Otto v.Bismarck)
So schäbig wie derzeit, verleumderisch und verbrecherisch am eigenen Erbe, hat sich deutsche Politik noch nie aufgeführt. Andererseits: irgendjemand muss diese Leute zu ihrer Mission bestimmt haben. In Wahlen zum Beispiel.
Es bleibt in der dunkelsten Stunde die Erinnerung, dass man aus ihr ins Licht besser sehen kann als umgekehrt. Dass unser Christentum um das Mysterium der Auferstehung weiß und dass nichts so bleiben muss wie es ist.
Irgendwann wird das Triptichon auf dem Altar doch wieder aufgeklappt werden.
Wenn nicht, lag es an uns selbst.
In der Matthäus-Passion heisst es übrigens dazu:
„Sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden?
Eröffne den feurigen Abgrund, o Hölle,
zertrümmre, verderbe, verschlinge, zerschelle
mit plötzlicher Wut
den falschen Verräter, das mördrische Blut.“